Chinas Wirtschaft legt wieder enorme Muskeln an
Red. Der Unternehmer Felix Abt hält sich viel in China auf. Er lebt in der Stadt Nha Trang im Süden Vietnams.
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«In Peking schliessen derzeit reihenweise Restaurants und Läden»
Das berichtete NZZ-Korrespondent Matthias Kamp aus Peking, um unter anderem mit diesem Beispiel, das er nicht belegt, zu illustrieren, in welchem katastrophalen Zustand sich die chinesische Wirtschaft befindet. Der Titel seines Artikels lautete «Chinas Machthaber sind wegen der Wirtschaftskrise in höchster Alarmbereitschaft».
Doch wer sich in Shanghai umsieht, trifft auf prall gefüllte Restaurants und gut besuchte Geschäfte. Doch anders als die NZZ es tut, soll daraus nicht auf den Gesundheitszustand der chinesischen Wirtschaft geschlossen werden.
Die Situation in China ist differenzierter, als sie china-kritische grosse Medien in Europa und den USA darstellen. Viele Menschen auch in China sind zwar desillusioniert und enttäuscht, dass die teilweise gesättigte Wirtschaft von nun an mit niedrigeren Wachstumsraten auskommen muss. Chinesische Geschäftsleute meinen, dass sich die Menschen während vieler Jahre an sehr hohe jährliche Wachstumsraten gewöhnt hatten. Von einer allgemeinen Krise zu sprechen, sei aber völlig abwegig, denn die Wirtschaft wachse insgesamt, wobei einzelne Sektoren sehr stark wachsen und andere, wie der Immobiliensektor, stagnieren oder schrumpfen.
Zweifellos befindet sich der Immobiliensektor, der jahrelang ein Motor des Wirtschaftsbooms war, in der Krise. Seite 2021 trägt er zum Wachstum nichts mehr bei. Das zeigt folgende Grafik:
Der Immobiliensektor spielt keine wichtige Rolle mehr in der chinesischen Wirtschaft und hat nicht mehr das Potenzial, die Wirtschaft in den Abgrund zu ziehen. Dennoch beeinflusst er immer noch die Stimmung der Konsumenten.
Umso mehr boomt der Industriesektor.
Die fünf stärksten Branchen, die derzeit sowohl die steigende Inlandsnachfrage als auch die Auslandsnachfrage befriedigen, sind 1. die Solarmodulherstellung, 2. der Pkw-Bau, 3. der Flugzeugbau, 4. der Bootsbau und 5. der Bau von Fahrzeugen mit alternativen Kraftstoffen. Diese fünf Branchen haben in diesem Jahr auch ihre Exporte um 20 bis 28 Prozent gesteigert.
Die Kreditvergabe der chinesischen Banken für Immobilien erreichte im Jahr 2018 ihren Höhepunkt und wurde seitdem systematisch reduziert. Im Gegensatz dazu wurden die Kredite für produktive Sektoren und Zukunftsindustrien ab 2019 deutlich ausgeweitet. Dies bedeutet, dass die Wirtschaft seit 5 Jahren über die Kreditvergabe von der Immobilienzombie-Industrie weg und hin zu Wachstumsindustrien gelenkt wird.
Künstliche Intelligenz ist derzeit die am schnellsten wachsende Branche der Zukunft: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden in China mehr als 237’000 KI-Unternehmen gegründet.
Das neue Konjunkturpaket der Regierung ist kein Verzweiflungsakt «der Machthaber», wie die NZZ und andere Medien uns glauben machen wollen. Es ist eine notwendige Ankurbelung des Binnenkonsums angesichts des verschärften Handelskriegs, den die USA und ihre Verbündeten ab dem nächsten Jahr noch verstärkt gegen China führen werden – egal ob Donald Trump oder Kamala Harris Präsident oder Präsidentin wird.
Meine Gesprächspartner in China sind überzeugt, dass diese «Übergangsphase» China ein paar schmerzhafte Prozent Wachstum kosten wird. Vor allem, wenn die Inlandsnachfrage nicht stark genug ist, um die Verluste auf der Exportseite zu kompensieren.
China konzentriert sich auf seine strategischen Stärken
Im Gegensatz zum Westen, wo viel über eine angebliche Wirtschaftskrise in China geschrieben wird, denkt Chinas Regierung nicht in kurzfristigen Wirtschaftszyklen. Auch die Unternehmen denken nicht in Quartalen und Quartalsabschlüssen. Eine Wirtschaft «mit chinesischen Merkmalen» bedeutet, sich auf strategische Stärken zu konzentrieren, die sich langfristig auszahlen. Diese werden bestimmen, wie die wirtschaftliche Zukunft Chinas aussehen wird.
Wer die entscheidenden Technologien kontrolliert, kontrolliert die Zukunft
Es wird davon ausgegangen, dass 64 kritische Technologien die Zukunft der Welt bestimmen werden. China dominiert 90 Prozent davon. Vor zwanzig Jahren beherrschten die USA noch 60 dieser 64 Technologien. Das geht aus einem Bericht des China-kritischen Australian Strategic Policy Institute hervor, einer Denkfabrik, die vom US-Aussenministerium und dem militärisch-industriellen Komplex der USA finanziell unterstützt wird.
In den letzten Jahrzehnten überschwemmte China fast die ganze Welt mit billigen Industrieprodukten. Für diesen Erfolg kopierten chinesische Unternehmen westliche Technologien und wandten sie für eine Massenproduktion an.
Doch was viele übersehen: China ist inzwischen zum weltweit führenden Forschungszentrum mutiert. Nur deshalb wurde es für China möglich, die Weltwirtschaft in den Bereichen KI, erneuerbare Energien, Biotechnologie, Weltraumtechnologie und Quantencomputing zu dominieren.
Selbst der Economist räumt inzwischen ein, dass China eine «wissenschaftliche Supermacht» sei.
Angeblich «unfähig zur Innovation»
Noch vor zehn Jahren veröffentlichte die Harvard Business Review eine Studie, in der behauptet wurde, China sei unfähig zur Innovation. Harvard-Forscher, die China durch eine getrübte ideologische Linse sahen, kamen zu dem Schluss, dass «China voll von unkreativen, schulbuchgebundenen Lernenden» ist, die daher nicht zur Innovation beitragen können».
Sie verkannten den konfuzianischen Charakter der herrschenden Partei, die längst nur noch dem Namen nach kommunistisch ist.
Nur ein Jahrzehnt nach diesem vernichtenden Befund investiert China fünfmal so viel in die Spitzenforschung wie die USA.
Während die USA offene und verdeckte Kriege und Regierungsumstürze auf der halben Welt finanzierten, arbeitete China hinter den Kulissen und überflügelte die USA in etlichen Bereichen.
Doch kürzlich räumte dieselbe Harvard Business Review ein, dass China ein ausgeklügeltes Innovations-Ökosystem geschaffen habe, das «in einzigartiger Weise eine Top-Down-Koordination zwischen Regierung und Industrie mit dem Bottom-Up-Engagement chinesischer Unternehmer verbindet».
Die Autoren verweisen auf die hohen Skaleneffekten dank des riesigen Konsumentenmarktes sowie auf die Investitionen Chinas in den Ländern des globalen Südens, welche die Wachstumsmärkte der Zukunft darstellen. Doch zudem sei entscheidend, dass innerhalb Chinas der härteste Wettbewerb der Welt herrsche. Unternehmen, welche diesen Wettbewerb überleben würden, seien so stark, dass sie globale Players und Champions werden. Wörtlich erklären sie:
«Unternehmen, die den Kampf auf Leben und Tod auf Chinas Märkten überleben – der oft als ‹Gladiatorenarena› beschrieben wird – gehen oft als globale Champions hervor. Man denke nur an CATL (Batterien), BYD (Batterien und Elektrofahrzeuge), Tongwei (Solar), Goldwind (Wind) oder Huawei (Informations- und Kommunikationstechnologie).»
Vor 15 Jahren standen die chinesischen Konsumenten noch Schlange, um für einen Buick, BMW, Audi oder Mercedes bar zu bezahlen. Heute sind die meisten Chinesen auf Elektroautos umgestiegen, insbesondere auf chinesische Autos, weil diese jetzt Marktführer sind. Neben der fortschrittlicheren Technologie zu niedrigeren Preisen beeinflusst auch der US-Wirtschaftskrieg gegen China das chinesische Kaufverhalten. (Siehe auf Infosperber: «Der Wirtschaftskrieg gegen China macht Chinesen zu Patrioten».)
Auch Tesla, einst der unangefochtene Marktführer bei Elektroautos, der Premiumpreise verlangen konnte, bekam die unerbittliche chinesische Konkurrenz zu spüren. Trotz vier Preissenkungen in China im Jahr 2023 wurde das Unternehmen von der Konkurrenz überflügelt.
Deutsche Konkurrenten suchen Rettung in China
Deutsche Autohersteller waren die ersten, die den Chinesen beibrachten, wie man Autos mit Verbrennungsmotor baut. Jetzt lernen deutsche Ingenieure von chinesischen Herstellern, wie man Elektrofahrzeuge baut.
So arbeiten beispielsweise Audi und das chinesische Unternehmen FAW gemeinsam an einer 4,87 Milliarden Dollar teuren Produktionsanlage für Elektrofahrzeuge in China.
Innovation ist teuer: China und die USA finanzieren sie ganz unterschiedlich
Letztes Jahr hatte China einen Handelsüberschuss von 823 Milliarden Dollar und exportierte somit weit mehr als es importierte. Das Land nutzt seine überschüssigen Einnahmen für Forschung und Entwicklung sowie für den Aufbau kritischer Industrien, insbesondere der wichtigsten Wachstumsbranchen der Zukunft. China fördert diese durch verschiedene Anreize, Vorschriften und zentralisierte Investitionen in die wissenschaftliche Forschung.
Unternehmen in den USA erkennen zwar, dass bestimmte Branchen die Zukunft sind, investieren aber viel langsamer in sie, da sie sich auf die unmittelbare Gewinnmaximierung konzentrieren und viel weniger bereit sind, langfristig zu investieren.
Ausserdem spielt die US-Regierung bei neuen Industrien eine viel kleinere Rolle als die chinesische. Und die Prioritäten der US-Regierungen können sich aufgrund wechselnder Parteien und Budgets immer wieder ändern.
Während China einen beträchtlichen Handelsüberschuss aufweist, haben die Vereinigten Staaten ein grosses Handelsbilanzdefizit:
Wegen des grossen Handelsdefizites der USA muss jede staatliche Finanzierung durch das Drucken von Geld durch die Federal Reserve aufgebracht werden, was die Schulden von über 31 Billionen Dollar weiter in die Höhe treibt, tendenziell die Inflation anheizt und die Welt weiter in Richtung Entdollarisierung drängt.
Der grosse Handelsbilanzüberschuss und der Innovationsansatz, den China als «whole of nation» bezeichnet, ermöglicht es dem Land, zusätzlich zu den enormen Ressourcen, die von privaten Unternehmen investiert werden, nahezu unbegrenzte staatliche Mittel zu mobilisieren. Von 1995 bis 2021 stiegen Chinas Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung von 18,2 Milliarden Dollar auf 620,1 Milliarden Dollar, ein Anstieg von über 3000 Prozent! Im gleichen Zeitraum stiegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den USA um 277 Prozent.
In den letzten Jahren sind die Unternehmensgewinne und erhaltenen Subventionen in den USA – auch in der EU und in der Schweiz – häufig zum Rückkauf eigener Aktien und für Spitzenmanagergehälter verwendet worden, anstatt zum Investieren.
In der Zwischenzeit hat sich China zu einem führenden Zentrum für wissenschaftliche Spitzenforschung entwickelt. The «Economist» schreibt: «Chinesische Wissenschaftler sind weltweit führend bei hochkarätigen Veröffentlichungen und Beiträgen zu renommierten wissenschaftlichen Publikationen, die nach strengen Peer-Review-Verfahren ausgewählt werden.»
Kein Bereich veranschaulicht Chinas technologischen Vorsprung besser als «Clean Tech». Auf China entfallen heute mehr als 80 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten in elf wichtigen sauberen Energietechnologien. China dominiert die Lieferkette für Seltene Erden. Es fördert 70 Prozent der weltweiten Seltenen Erden und verarbeitet 90 Prozen aller Seltenen Erden.
In der Solarbranche werden westliche Unternehmen trotz hohen Zollschranken schwerlich konkurrenzfähig. Dank enormer Investitionen und des grossen heimischen Markteskosten kosten grosse Solarpanels kaum noch 15 Prozent so viel wie im Jahr 2010.
Alles begann mit dem Tauschhandel Märkte gegen Know-how
Nachdem China in den 1970er Jahren seine Wirtschaft geöffnet hatte, zogen viele westliche Unternehmen in das Land, um von dem riesigen Markt und den billigen Arbeitskräften zu profitieren. Im Gegenzug für den Zugang zum Markt profitierten chinesische Unternehmen von jahrzehntelangen westlichen Investitionen in traditionellen Branchen wie Autos and Chemikalien.
Dieser Tauschhandel, das heisst Know-How gegen riesige Absatzmöglichkeiten und Profite, führte zu Chinas Ruf, es stehle Technologie.
Ironischerweise ist es nun der Westen, der chinesische Unternehmen bittet, in seine Länder zu kommen und ihr Fachwissen in kritischen Technologien wie sauberer Energie zu teilen. Ein Beispiel ist das Invenergy, eines der grössten US-Unternehmen für erneuerbare Energien. Im Rahmen einer 51/49-Partnerschaft mit dem führenden chinesischen Solarunternehmen LONGi eröffnete Invenergy in diesem Jahr die grösste Solarpanelfabrik in den USA.
Im Rahmen dieses Joint Ventures erwarb Invenergy die fortschrittliche Solartechnologie von LONGi. Die Anlage in Ohio soll jährlich 5 GW an Solarmodulen produzieren und mehr als tausend neue Arbeitsplätze schaffen.
Ein weiteres Beispiel ist der Autokonzern Ford. Das Unternehmen kündigte kürzlich ein Joint Venture mit CATL an, Chinas führendem Hersteller von Batterien für Elektrofahrzeuge. Die Amerikaner investieren 3,5 Milliarden Dollar in eine neue Fabrik für Elektroauto-Batterien in Michigan, welche die CATL-Technologie zur kostengünstigen Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien für den Ford F-150 Lightning Truck und andere Elektroautos nutzen wird.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
«Heute sind die meisten Chinesen auf Elektroautos umgestiegen..» ab diesem Punkt habe ich aufgehört zu lesen.
Wieder mal typisch westliches Maulheldentum: Erst kann China nichts eigenes, das sind alles kopierende Marionetten und jetzt großes Zähneklappern. China ist und bleibt eine äußerst dynamische, äußerst widersprüchliche uralte Kulturnation, der alles zuzutrauen ist, was ihre innere und äußere Entwicklung betrifft. In China wurde schon Bestseller-Krimis geschrieben und tausenfach gedruckt, als bei uns von Schrift noch keine Rede war. Der Westen hat dank der enormen Erfindungen in den Kriegskünsten durch das winzige zerstrittene Europa, das seine Ungeister dann damit auf den Rest der Welt losgelassen hat, ein paar Jahrhunderte Dominanz erlebt. Schon der kometenhafte Aufstieg Japans mit der Meiji-Ära hat doch gezeigt, wie schnell das Blatt der Weltgeschichte gewendet wird: in nur fünfzig Jahren hatte Japan eine Monsterflotte, eine moderne Armee und in Asien kräftig mitgemischt. Wir stehen uns im Westen in unserem trägen, linearen Denken selbst im Weg.
Interessanter Artikel. Vielen Dank für eine völlig andere Perspektive.
Sie erlaubt mir, bzw. nötigt mich, bisherige Glaubens/Wissenssätze zu überprüfen.
Gibt es eine Möglichkeit dieses Buch außerhalb des Kindl’e Spektrum zu erwerben?